Blick in die digitale Energiewelt von morgen
Digitalisierung ist ein wichtiger Trend, der alle Lebensbereiche verändert. In der Stromversorgung kann die Digitalisierung gleich mehrere Fragen beantworten, die mit der Energiewende und dem steigenden Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch einhergehen. Wie kann das System stabil bleiben, wenn die Stromversorgung größtenteils auf einer veränderlichen Erzeugung durch Wind- und Solaranlagen basiert? Wie können Erzeugung, Netze, Verbrauch und Energiespeicherung intelligent zusammenwirken? Wie können Heizungen, Autos und Industrie einen höheren Anteil der vorhandenen erneuerbaren Stromkapazität nutzen? Die Digitalisierung bietet für all diese Fragen Lösungen. Aber wie funktionieren sie in der Praxis?
Fünf Modellregionen des SINTEG-Programms "Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende" entwickeln Antworten auf diese Fragen. Jedes Schaufenster ist ein "Reallabor", das Musterlösungen für die technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen der Energiewende entwickelt (mehr über Reallabore erfahren Sie hier). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert diese Projekte mit insgesamt über 200 Millionen Euro. Zusammen mit den Investitionen der über 300 Unternehmen, die sich an dem Programm beteiligen, kommen so über 500 Millionen Euro zusammen. Die Schaufenster haben den Auftrag, Blaupausen zu entwickeln, die auch in anderen Regionen und Ländern umgesetzt werden können. Alle Ergebnisse und Erfahrungen der Projekte werden aufbereitet, ausgewertet und ausgetauscht. Die fünf "Schaufenster intelligente Energie" gingen Anfang 2017 an den Start.
Peter Altmaier: Energie von morgen "made in Germany"
Bei der "SINTEG-Jahreskonferenz 2018 – Einblicke in das Reallabor für die digitale Energiewelt" am 5. und 6. Juni in Berlin stellen die fünf Modellprojekte erste Ergebnisse und Highlights aus dem ersten Projektjahr vor. Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, verdeutlichte in seiner Eröffnungsrede nicht nur die Bedeutung von digitalen Lösungen für die Energiewende, sondern betonte auch den internationalen Vorbildcharakter Deutschlands: "Was wir tun in Deutschland ist wie in einem großen Reallabor." Die hier gefundenen Lösungen könnten von anderen Ländern weltweit übernommen werden. Dies sei auch wirtschaftlich in unserem Interesse. Denn: "Wenn die Energiewende bei uns gelingt, dann wird sie zu einem Exportschlager werden – so wie deutsche Maschinen, deutsche Autos und andere Produkte made in Germany."
Das SINTEG-Programm "Schaufenster intelligente Energie" ist dabei ein zentraler Baustein für die Digitalisierung der Energiewende. Im Fokus stehen sichere und effiziente Verfahren, etwa für den Netzbetrieb, innovative Technologien sowie Marktmechanismen für flexible, intelligente Netze und Märkte. Durch eine eigens für das Programm beschlossene Verordnung können die SINTEG-Teilnehmer neue Technologien, Verfahren und Geschäftsmodelle testen, zum Beispiel digitale Marktplattformen zur Beschaffung von Flexibilitäten. SINTEG wird damit zum Reallabor für die digitale Energiewelt.
Jedes der fünf Schaufenster geht in seiner Modellregion von anderen Voraussetzungen aus und setzt daher eigene Schwerpunkte.
C/sells: Kommunizierende Zellen
Das Schaufenster C/sells setzt auf ein Energiesystem, in dem kleinere Energie-"Zellen" – zum Beispiel eine Region, ein Stadtteil oder einzelne Häuser – soweit wie möglich als Eigenversorger agieren. Die Zellen tauschen untereinander dann nur noch die verbleibende überschüssige oder fehlende Energie automatisiert aus. C/sells umfasst die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Bayern und Baden-Württemberg – auch "Solarbogen Süddeutschlands" genannt – sind Deutschlands Spitzenreiter bei der Erzeugung von Solarenergie, in Hessen spielt zusätzlich die Windkraft eine große Rolle. Im Projekt C/sells wird das gesamte Gebiet in mehr als 30 sogenannte Demonstrationszellen aufgeteilt. Die Zellen sind digital miteinander vernetzt, sodass überschüssige Energie automatisch immer dorthin gesteuert wird, wo sie gerade gebraucht wird. Nicht benötigte Energie soll gespeichert werden. Für dieses Konzept entwickelt C/sells ein digitales Informationssystem, das den Datenaustausch ermöglicht, automatisch Maßnahmen zur Sicherung der Netzstabilität in Gang setzt und alle Akteure in einen regionalen Handel mit Energie-Dienstleistungen einbindet. Das Projekt wird von 58 Partnern durchgeführt und mit rund 44 Millionen Euro gefördert.
Designetz: Intelligente Verteilnetze
Designetz entwickelt ein Verbundsystem für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Im Mittelpunkt des Projekts stehen digitale und intelligente Verteilnetze, die sich vor dem Hintergrund zunehmend dezentraler Erzeugung immer mehr von einer Einbahnstraße zur Zweibahnstraße entwickeln. Stromerzeugung und -nachfrage können hierdurch regional besser ausgeglichen, bei Bedarf aber auch überregional abgedeckt werden. Teils bestehende, teils noch aufzubauende Einzellösungen werden hierfür miteinander verknüpft und über unterschiedliche Netzebenen und die beteiligten Regionen hinweg zu einem belastbaren Gesamtsystem zusammengefasst. Photovoltaik, Windenergie, KWK-Anlagen, Speichertechnologien sowie steuerbare Lasten, darunter Stromgroßverbraucher wie Industriebetriebe, sind wichtige Elemente des Projekts. An dem Projekt beteiligen sich 47 Partner aus Energiewirtschaft, Industrie, Kommunen, Forschung und Entwicklung. Es wird mit rund 29 Millionen Euro gefördert.
enera: Regionale Markplätze
In der Modellregion enera im Nordwesten Niedersachsens werden große Mengen Windenergie erzeugt. Das Projekt konzentriert sich auf die Frage, wie das Stromsystem flexibler werden kann, um unter anderem die Wind-Ressourcen in der Region optimal zu nutzen. Erzeugungsanlagen, Energiespeicher sowie Haushalte, Gewerbe- und Industriebetriebe werden zu regionalen, virtuellen Kraftwerken vernetzt und ein digitaler Marktplatz wird für regionale Energieprodukte entwickelt. Mit intelligenten Stromzählern und rund 1.000 digitalen Knotenpunkten im Stromnetz wird dokumentiert, wo Strom zu welcher Zeit verbraucht wird. Die Technik soll immer selbstständiger auf diese Informationen reagieren können. Flexible Industriebetriebe werden mit Steuertechnik ausgestattet, mit der sie die Produktion steigern oder drosseln können, je nachdem, ob ein Über- oder Unterangebot an Ökostrom besteht. Flexible Stromtarife bieten Verbrauchern Anreize, Strom dann zu verbrauchen – zum Beispiel das Elektroauto zu laden –, wenn viel Wind weht. Smarthome-Apps sind vorgesehen, damit Verbraucher mit Solarspeichern oder Nachtspeicherheizungen Geld verdienen können, indem sie das Netz entlasten. 63 Projektpartner arbeiten in diesem Projekt zusammen. Das Schaufenster enera wird mit rund 52 Millionen Euro gefördert.
NEW 4.0: Digitale Ergänzung
"NEW" steht für die Norddeutsche Energiewende und "4.0" für die vierte industrielle Revolution, d. h. Digitalisierung und Vernetzung. Das Schaufenster NEW 4.0 verbindet Hamburg mit dem Windenergie-Zentrum Schleswig-Holstein. Ziel ist eine sichere und kostengünstige Stromversorgung mit einem Erneuerbare-Energien-Anteil von 100 Prozent im Jahr 2035. Derzeit müssen Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein viel zu häufig heruntergefahren werden, weil die Strommengen aufgrund von Netzengpässen nicht zu den Verbrauchern transportiert werden können. Deshalb entwickelt NEW 4.0 ein digitales System, das den Verbrauch dynamisch an das Stromangebot anpassen kann. Zum einen soll die Fähigkeit zum Stromexport verbessert werden. Zum anderen soll die Selbstnutzung von erneuerbarer Energie erhöht werden, durch Speichertechnologien und insbesondere durch die Flexibilisierung von industriellen Produktionsprozessen oder durch Umwandlung von Strom in Wärme. Dazu werden alle Akteure und Komponenten der Erzeugung, der Speicherung, des Transports und des Verbrauchs digital vernetzt. 57 Partner machen mit beim Projekt NEW 4.0, das mit rund 44 Millionen Euro gefördert wird.
WindNODE: Flexible Verbraucher
Das Schaufenster WindNODE umfasst alle sechs ostdeutschen Bundesländer. Heute wird in diesem Gebiet die Hälfte des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt. Das gilt aber nur für den Jahresdurchschnitt. In windstillen Nächten wird fast kein Strom aus Wind- und Solaranlagen erzeugt. An sonnigen, windigen Tagen hingegen erzeugen sie in manchen Regionen mehr als das Dreifache des lokal benötigten Stroms. Das hat allerdings zur Folge, dass Netzengpässe in diesen Regionen drohen. Im Fokus des Projekts WindNODE steht daher die Schaffung von Flexibilitätsoptionen – zum einen durch Speichertechnologien, große Batterien, Elektroautos oder elektrische Wärmeerzeugung ("Power-to-heat"), zum anderen durch die Zusammenarbeit mit flexiblen Kunden, die ihren Verbrauch am Wetterbericht ausrichten können und im Gegenzug Geld sparen. Dies sind zum Beispiel Fabriken, die einen Teil ihrer Produktion auf einen anderen Zeitpunkt verlegen können, oder Supermärkte, deren Tiefkühltruhen auf Vorrat kühlen können. Dazu werden die flexiblen Stromkunden über ein digitales Energiesystem vernetzt, das ihnen individuell oder auch automatisiert die Möglichkeit gibt, ihren Verbrauch an der erwarteten Stromerzeugung auszurichten. Am Projekt WindNODE sind 75 Partner beteiligt. Es wird mit einer Fördersumme von rund 37 Millionen Euro unterstützt.