Netzausbau: Sind Erdkabel eine geeignete Alternative zu Freileitungen?

Zu dieser Frage äußern sich Dr. Eick von Ruschkowski, Leiter des Fachbereiches Naturschutz und Umweltpolitik im Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), und Udo Hemmerling, Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV).

PRO: Dr. Eick von Ruschkowski

Dr. Eick von Ruschkowski ist Leiter des Fachbereiches Naturschutz und Umweltpolitik im Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) © NABU

Energiewende mit alten Technologien?
Der schleppende Netzausbau ist der oft beklagte Hemmschuh, wenn es um die zügige Umstellung unserer Stromversorgung weg von Atom- und Kohlekraft hin zu erneuerbaren Energien geht. Speicher, die Produktionsüberschüsse und –defizite bei Wind- und Sonnenstrom überregional ausgleichen, fehlen leider auf absehbare Zeit, daher sind leistungsstarke Leitungen nötig. Unsere inzwischen sehr funktionalisierte Umwelt auf weitere Jahrzehnte mit hohen Masten zu belasten, die sich seit den 1950er Jahren kaum weiterentwickelt haben, wird einer echten Energiewende kaum gerecht. Erdkabelsysteme für Dreh- und Gleichstrom bieten hier mehr Möglichkeiten, um die Akzeptanz für den Netzausbau zu erhöhen.

Verringerte Beeinträchtigung von Umwelt und Natur
Der Argwohn von Anwohnern und Bürgerinitiativen gegenüber geplanten Netzausbauprojekten lässt sich nicht darauf beschränken, dass hier Eigeninteressen vor gesamtgesellschaftliche Verantwortung gestellt werden. Sie spiegelt auch ein hohes Bedürfnis nach einer intakten Umwelt wider. Die Eingriffe in die Natur sind auch beim Kabelbau sehr ernst zu nehmen. Vor allem werden aber mit Erdkabeln offene Landschaften nicht verunstaltet und die Zerschneidung von Lebensräumen verringert. Darüber hinaus kommt es beim Einsatz von Erdkabelsystemen nicht wie bei Freileitungen zu tödlichen Kollisionen mit Kranichen, Schwänen oder anderen Arten.

Größere Spielwiese bei der Planung
Eine große Herausforderung bei der Planung des Übertragungsnetzes ist die räumliche und wirkungsabhängige Entscheidung über zur Verfügung stehende Alternativen. Anders als etwa bei der ertragsbestimmten Standortfestlegungen von Windkraftanlagen, bietet der Leitungsbau mit Erdkabeln mehr Optionen als nur eine Variation von Masthöhen bei Freileitungen. Weniger konfliktreiche Trassierungen für Mensch und Natur können erwogen werden, um Planungen zügiger abzuschließen, wodurch sich auch Mehrkosten gegenüber Freileitungen relativieren.

Potenziale von Erdkabeln voll ausschöpfen
Die vorhabenspezifischen Gesetzesgrundlagen zum Netzausbau sehen bereits heute Verpflichtungen zur Teilverkabelung bei vier Drehstromprojekten und allen geplanten Gleichstromübertragungen vor. Der kürzlich im Kabinett verabschiedete und grundsätzlich begrüßenswerte Gesetzesentwurf zu Änderungen beim Energieleitungsbau würde weitere Vorhaben wie "Niederrhein – Osterath" für die Erdverkabelung öffnen. Es bleibt jedoch bei einer Salamitaktik, statt alle noch nicht in Planung befindlichen Projekte ergebnisoffen ins Rennen zu schicken. Der Forderung des NABU, Erdkabel nicht nur bei einer Annäherung an sensible Siedlungsbereiche sondern auch zur Vermeidung erheblicher Naturschutzkonflikte zu prüfen, wird der Änderungsentwurf jedoch gerecht.

Dr. Eick von Ruschkowski ist Leiter des Fachbereiches Naturschutz und Umweltpolitik im Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU).

CONTRA: Udo Hemmerling

Udo Hemmerling ist Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV) © DBV

Die deutsche Landwirtschaft steht zur Energiewende als gesamtgesellschaftliches Projekt und ist bereit, ihren Beitrag zum Gelingen dieses Vorhabens zu leisten. Mit der Energiewende ist der Netzausbau untrennbar verbunden. Hier sind die Grundeigentümer sowie Land- und Forstwirte infolge der Inanspruchnahme land- und forstwirtschaftlicher Flächen für den Leitungsbau unmittelbar in ihren Eigentums- und Nutzungsrechten betroffen. Die Sicherstellung der Akzeptanz dieser Betroffenen für den Netzausbau erfordert daher grundsätzlich die Berücksichtigung agrarstruktureller Belange und des Flächenschutzes sowie die Neujustierung eines angemessenen Ausgleichs für die dauerhafte Mitnutzung der Flächen.

Die Verlegung von Erdkabeln im Höchstspannungsbereich ist mit massiven Eingriffen in den Boden und seine Struktur verbunden, welche sehr viel gravierender sind als beim klassischen Freileitungsbau. Wie sich beim Bau des 380-kV-Erdkabel-Pilotprojekts in Raesfeld zeigt, ist die benötigte Trassentiefe mit ca. 2,60 Metern enorm und auch die Breite der durch die Bauarbeiten beanspruchten Fläche ist mit ca. 50 Metern sehr groß. Bei der Verlegung eines Erdkabels im Höchstspannungsbereich wird zudem der Boden komplett ausgetauscht werden müssen, um Halt und Stabilität der Leitungen zu gewährleisten. Anschließend müssen die Kabeltrassen nicht nur von tief wurzelnden Pflanzen freigehalten werden. Sie dürfen auch anderweitig nicht überbaut werden.

Darüber hinaus strahlen Erdkabel Wärme ab. Durch die insbesondere bei Wechselspannung von einer Erdverkabelung ausgehende Erwärmung des Bodens ist mit erhöhten Verdunstungs- und Austrocknungsraten in einem ca. 20 bis 30 Meter breiten Streifen zu rechnen. Daraus und durch die Veränderungen der Bodenstrukturen sind dauerhafte und nicht nur vorübergehende erhebliche Ertragseinbußen auf landwirtschaftlichen Flächen nicht auszuschließen.

Es bedarf daher eines Langzeitmonitorings, um belastbare Aussagen zu den längerfristigen Auswirkungen einer Erdverkabelung auf die Ertragsfähigkeit landwirtschaftlicher Flächen zu erhalten. Bei Erdverkabelungen im 380 kV-Bereich müssen auch bodenkundliche Baubegleitungen sichergestellt werden. Der Deutsche Bauernverband spricht sich daher für die Beibehaltung der Beschränkung von Erdverkabelungsabschnitten zunächst auf Pilotvorhaben aus.

Grundsätzlich müssen bei der Prüfung von Erdverkabelungsabschnitten im Höchstspannungsbereich als Alternative zu Freileitungen neben den bereits im Gesetz genannten Kriterien auch die agrarstrukturellen Belange, insbesondere die Auswirkungen auf die Bewirtschaftbarkeit land- und forstwirtschaftlicher Flächen, in den Abwägungsprozess einbezogen werden. Dies ist bisher nicht ausreichend der Fall.

Udo Hemmerling ist Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV).

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