Was sind eigentlich Netzreserve, Kapazitätsreserve und Sicherheitsbereitschaft?
Darum geht's: Netzreserve, Kapazitätsreserve und Sicherheitsbereitschaft haben zwar unterschiedliche Vorzeichen aber ein gemeinsames Ziel: Strom soll auch künftig zuverlässig fließen.
Deutschland gilt als eines der Länder mit der höchsten Versorgungssicherheit weltweit. Ein Grund dafür sind gleich drei schlaue Reserven für eine sichere Stromversorgung. Wie ein dreifaches Sicherheitsnetz sorgen sie auch unter den besonderen Bedingungen der immer weiter voranschreitenden Energiewende dafür, dass unser Energiesystem stabil bleibt und funktioniert. Doch Reserve ist nicht gleich Reserve und so haben Netzreserve, Kapazitätsreserve und Sicherheitsbereitschaft alle ihre eigene Geschichte.
Die Netzreserve sichert das Stromnetz selbst bei starker Belastung
Am stärksten belastet sind unsere großen Übertragungsleitungen im Winter. In den kalten und stürmischen Monaten speisen die Windräder im Norden besonders viel Strom ein, in den industriellen Zentren im Süden wird – vor allem wenn es kalt und früh dunkel ist – noch mehr Energie nachgefragt. Damit sich die Leitungen wegen dieses "Ansturms" nicht abschalten, müssen die Anlagen im Norden zurückgefahren und im Süden hochgefahren werden. Nur mit solchen Redispatch genannten Maßnahmen ist dann ein sicherer Betrieb des Netzes möglich. Die auch "Winterreserve" oder "Kaltreserve" genannte Netzreserve wird deshalb jedes Jahr insbesondere für das Winterhalbjahr gebildet. Sie besteht aus Kraftwerken, die gerade nicht betriebsbereit sind oder die die Betreiber schon zur Stilllegung angemeldet haben. Sie können bei Bedarf kurzfristig einspringen. Geregelt ist ihr Einsatz durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und in der Netzreserveverordnung. Die für Netzstabilität zuständigen großen deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ermitteln jährlich den zukünftigen Netzreservebedarf. Er wird von der Bundesnetzagentur (BNetzA) noch einmal überprüft und bestätigt. Für den Winter 2020/21 beträgt die Netzreserve rund 6,6 Gigawatt (GW).
Die Kapazitätsreserve: für Extremsituationen und Unvorhergesehenes
Wenn es mal eng wird, weil etwas Unvorhergesehenes passiert, dann hört jeder gerne: "Wir haben da zusätzliche Kapazitäten, auf die wir zurückgreifen können". Ähnlich verhält es sich auch mit der Kapazitätsreserve. Sie dient dazu, die Versorgungssicherheit selbst in außergewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Extremsituationen zu garantieren. Die Kapazitätsreserve kommt dann zum Einsatz, wenn das Angebot auf dem Großhandelsmarkt für Strom trotz freier Preisbildung nicht ausreicht, um die gesamte Stromnachfrage zu decken. Sie ist also unabhängig vom Strommarkt und schafft so eine zusätzliche Sicherheit für die Verbraucher. Dazu werden bestehende Erzeugungsanlagen, Speicher oder Lasten außerhalb des Strommarktes vorgehalten. Die Kraftwerke in der Kapazitätsreserve dürfen nicht mehr aktiv auf den Strommärkten agieren (Vermarktungsverbot) und nur auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber ihre Leistung erhöhen. Anfordern dürfen die Übertragungsnetzbetreiber sie nur, wenn sonst keine Alternativen zur Verfügung stehen, um Ungleichgewichte zwischen Stromentnahme und Stromeinspeisung zu beheben. Mit der Kapazitätsreserve sollte ab dem Winterhalbjahr 2020/2021 so ein Sicherheitsnetz in Höhe von zusätzlich zwei Gigawatt (GW) gebildet werden. Auch die Kapazitätsreserve ist im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und in der Kapazitätsreserveverordnung geregelt. Ende 2019 haben die Übertragungsnetzbetreiber die erste Ausschreibungsrunde der Kapazitätsreserve abgeschlossen. Dabei wurden für den Zeitraum Oktober 2020 bis September 2022 insgesamt 1.056 Megawatt Erzeugungsleistung beschafft, ausgeschrieben waren 2.000 Megawatt. Sie sollen in der nächsten Ausschreibung auch erreicht werden. Der aktuelle "Monitoringbericht zur Versorgungssicherheit Strom" zeigt, dass die Stromnachfrage in den kommenden Jahren jederzeit gedeckt werden kann. Damit eine verlässliche Stromversorgung auch mit dem weiteren Voranschreiten der Energiewende gewährleistet ist, überwacht derzeit das BMWi und ab 2021 dann die BNetzA kontinuierlich die Sicherheit der Stromversorgung. Die Ergebnisse fasst der Monitoringbericht zusammen. Er untersucht regelmäßig (mindestens alle zwei Jahre) unter anderem, wie sich der Strommarkt und die verfügbaren Kraftwerke in den Jahren bis 2030 entwickeln.
Die Sicherheitsbereitschaft: falls Plan A und B nicht ausreichen
Fühlt sich gut an, so ein Netz mit doppeltem Boden. Damit es auch wirklich jeder Situation standhält, steht als drittes Sicherheitsnetz auch noch die sogenannte Sicherheitsbereitschaft zur Verfügung. Sie wurde im Rahmen des Strommarktgesetzes im Juli 2016 beschlossen und besteht aus Kraftwerken, die im Zuge des Kohleausstiegs planmäßig stillgelegt worden sind. Vier Jahre lang können diese abgeschalteten Kraftwerke in Extremsituationen wieder aktiviert werden, bevor sie endgültig nicht mehr ans Netz gehen. Erlaubt ist das nur, wenn alle anderen Maßnahmen sowie Netzreserve und Kapazitätsreserve nicht geholfen haben. Bisher ist das noch nie passiert. Innerhalb von zehn bis elf Tagen müssen die Kraftwerke auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber dafür aktiviert werden können. Acht Kraftwerksblöcke mit einem Umfang von 2,7 Gigawatt (GW) bilden heute die Sicherheitsbereitschaft. Sie stellen einen Anteil von 13 Prozent an der installierten Braunkohleleistung. Diese vorläufig stillgelegten Kraftwerke verursachen keine schädlichen CO2-Emissionen mehr. Schätzungsweise 12,5 Millionen Tonnen CO2 konnten so seit Beginn der Sicherheitsbereitschaft im Oktober 2016 und bis Ende 2020 eingespart werden.
Weiterführende Informationen:
- BMWi-Artikel "Strommarkt der Zukunft"
- Bericht der Bundesnetzagentur "Feststellung des Bedarfs an Netzreserve für den Winter 2020/2021 sowie das Jahr 2024/2025"
- BMWi-Broschüre "Evaluierung der Braunkohle-Sicherheitsbereitschaft"
- BMWi-Artikel "Was ist eigentlich Versorgungssicherheit?"
- BMWi-Artikel "Was ist eigentlich Redispatch?"