Was sind eigentlich "Flexibilitätsoptionen"?
Darum geht’s: die Stromversorgung optimieren, damit der Anteil der Erneuerbaren weiter steigen kann
Ein selbst gekochter Eintopf ist eine leckere Sache – und lässt dem Koch bei der Zubereitung viel Freiraum: Wenn er zu wenig Kartoffeln zur Hand hat, nimmt er eben mehr Möhren. Wenn dagegen bereits genug Pfeffer in der Suppe ist, verzichtet er auf die Chilischoten. Kurz: Der Koch nutzt die Zutaten, die ihm zur Verfügung stehen, und zaubert daraus eine tolle Suppe.
So ähnlich kann man sich auch die Zusammenstellung der sogenannten Flexibilitätsoptionen bei der Energiewende vorstellen. Die Zutaten des Eintopfs stehen für die verschiedenen Möglichkeiten, um das Stromversorgungssystem auch in Zukunft verlässlich, sicher und bezahlbar zu betreiben.
Ein genauerer Blick in den Kochtopf zeigt: Unser Stromversorgungssystem muss optimiert werden, weil im Zuge der Energiewende der Anteil erneuerbarer Energien weiter steigen wird – bis 2030 auf 50 Prozent, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Die Energieproduktion aus Erneuerbaren kostet wenig, schwankt aber. Um Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten, kommt es deshalb auf die Zutaten an.
Zutat 1: flexible Erzeuger
Der meiste Strom aus erneuerbaren Energien ist wetterabhängig. Er wird unabhängig von der Nachfrage produziert, und zwar dann, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Somit verhalten sich Windturbinen und Solaranlagen völlig anders als die bestehenden fossilen Kraftwerke, die grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt Strom liefern können. Um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, müssen deshalb die herkömmlichen Kohle- und Gaskraftwerke flexibler reagieren und ihre Stromproduktion anpassen - sowohl an die schwankende Nachfrage als auch an die schwankende Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom. Konkret bedeutet das: Sie müssen schneller und häufiger ihre Leistung ändern, also hoch- und runterfahren.
Zutat 2: flexible Verbraucher
Auf eine unflexible Erzeugung zu reagieren, ist nicht neu: Gerade die großen Stromverbraucher in der Industrie, aber auch Gewerbe, Handel, Dienstleistungen haben bereits in der Vergangenheit auf unflexible Erzeugung, zum Beispiel aus Kernkraft, reagiert. Sie haben Strom gleichmäßig verbraucht und ihn besonders dann nachgefragt, wenn er günstig war, beispielsweise nachts.
Auch erneuerbare Energien stellen diese Anforderung an die Stromverbraucher: Sie sollen Strom genau dann verbrauchen, wenn Wind und Sonne viel Strom erzeugen. Die Strompreise an der Börse spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie sinken, wenn ein großes Stromangebot auf eine geringe Nachfrage trifft. Gerade große Verbraucher können von den niedrigen Strompreisen an der Börse profitieren.
Bei einem besonders großen Stromangebot und entsprechend niedrigen Börsenpreisen kann sich auch eine zusätzliche Nachfrage lohnen. Beispielsweise kann Strom zum Heizen genutzt werden – Stichwort: Power-to-heat (mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier). Dadurch lassen sich Heizöl oder Gas einsparen. Auch Elektroautos können auf eine steigende Stromerzeugung flexibel reagieren und ihre Batterien genau zu diesen Zeiten aufladen.
Zutat 3: flexible Speicher
Strom ist nicht lagerbar. Kilowattstunden lassen sich nicht zurücklegen, bis sie gebraucht werden. Um Strom zu speichern, muss er temporär umgewandelt werden, beispielsweise in Pumpspeicherwerken oder Batterien.
Treffen unflexible Erzeugungstechnologien auf unflexible Verbraucher, besteht Bedarf für Speicher. Bisher genügen zum Ausgleich die großen Pumpspeicher in den Alpen. Zusätzliche Speicher liegen in Skandinavien und könnten durch zusätzliche und vergleichsweise kostengünstige Seekabel mit Deutschland verbunden werden. Batteriespeicher sind deutlich kleiner und helfen vor allem bei vielen kleinen Abweichungen von Angebot und Nachfrage, den Frequenzschwankungen. Dadurch können auch sie zu einer hohen Versorgungssicherheit beitragen.
Zutat 4: Ausbau der Stromnetze
Die wichtigste Flexibilitätsoption sind jedoch die Stromnetze. Sie gleichen die Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage überregional aus. Wird in einer Region Deutschlands gerade viel Strom produziert, aber wenig nachgefragt, wird er über die Stromnetze in eine Region mit hohem Stromverbrauch weitergeleitet. Das setzt aber voraus, dass die Netze gut ausgebaut sind. Ansonsten kommt es zu Netzengpässen, wenn zum Beispiel der Windstrom aus Norddeutschland gar nicht erst in die Verbrauchszentren im Westen und Süden des Landes gelangen kann. Deshalb setzt die Bundesregierung alles daran, "Stromautobahnen" durch Deutschland zu legen, damit der Strom aus Erneuerbaren immer dorthin fließt, wo er gerade benötigt wird.
Ein flexibles Stromnetz in der EU trägt ebenfalls zu mehr Versorgungssicherheit bei: Wenn in Deutschland Wind und Sonne viel Strom erzeugen, können Nachbarländer, die gerade großen Bedarf haben, diesen Strom beziehen. Umgekehrt: Wenn in Deutschland die Nachfrage hoch ist, Wind und Sonne gerade aber schwächeln, helfen zum Beispiel Wasserkraftspeicher in den Alpen und in Skandinavien aus. Durch den europäischen Stromverbund sind in Deutschland wesentlich weniger Reservekraftwerke nötig, sodass die Gesamtkosten der Stromversorgung sinken (mehr zur Energieunion erfahren Sie hier).
Übrigens: Ein gut ausgebautes Stromnetz – in Deutschland und EU-weit – macht viele andere und teurere Flexibilitätsoptionen mittelfristig unnötig. Auch deshalb steht es auf der Prioritätenliste der Bundesregierung ganz oben.
Viele Köche verbessern den Brei
Die vier genannten Zutaten sind nur Kategorien für ein Potpourri von Flexibilitätsoptionen, die alle dazu beitragen können, dass die Energieversorgung von morgen gelingt. Verbindendes Element ist dabei die Digitalisierung, die ein effizientes und intelligentes Zusammenspiel von Erzeugern, Verbrauchern und Stromnetzen überhaupt erst ermöglicht – und neue Möglichkeiten eröffnet, Energie besonders sparsam und effizient zu nutzen.
Welche Optionen am meisten genutzt werden, entscheidet schlussendlich der Markt. Nur die effektivsten und effizientesten werden langfristig zum Erfolg der Energiewende beitragen.
Weiterführende Informationen:
- BMWi-Dossier "Strommarkt der Zukunft"
- Flexibilitätsoptionen in der BMWi-Broschüre "Strom 2030 - Langfristige Trends, Aufgaben für die kommenden Jahre"
- BMWi-Themenseite "Ein Stromnetz für die Energiewende"
- BMWi-Themenseite "Die Digitalisierung der Energiewende"
- BMWi-Themenseite "Energiedaten und -szenarien"