Strommarkt: fit für das 21. Jahrhundert
Auch wenn sich der Herbst von seiner goldenen Seite zeigt – der Winter sitzt ihm im Nacken. Für einzelne Regionen meldet der Deutsche Wetterdienst bereits null Grad Celsius. Je weiter die Temperaturen sinken, desto gemütlicher wird es zu Hause: Heizungen sorgen für Wärme, Fernseher laufen öfter, Lichter brennen länger. Strom und Wärme dafür fließen zuverlässig – wann immer wir sie brauchen. Und immer mehr davon kommt aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne.
Schon heute machen die erneuerbaren Energien rund ein Drittel unserer Stromversorgung aus: 32,5 Prozent am Stromverbrauch waren es im ersten Halbjahr 2015. Doch je mehr die Stromversorgung aus wetterabhängigen Erneuerbaren wie Wind und Sonne stammt, desto mehr schwankt die Einspeisung. Bei Flaute kein Windstrom und nachts oder bei Wolken kein Sonnenstrom. Wie wird also unsere Energieversorgung in Zukunft sichergestellt? Die Lösung hat heute das Bundeskabinett geliefert und den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes beschlossen.
„Das Herzstück der Energiewende“
„Das Kabinett hat heute das Herzstück dieser Legislaturperiode für die Energiewende und für das Schaffen von stabilen Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren beschlossen“, so Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. „Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes schafft einen konsequent marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen für den Strommarkt der Zukunft. Mit dieser größten Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung der Energiemärkte in den 90er Jahren machen wir den Strommarkt fit für das 21. Jahrhundert. Wir buchstabieren Versorgungssicherheit europäisch und integrieren die erneuerbaren Energien optimal in den Markt.“
Mehr Flexibilität und fairer Wettbewerb
Der Strommarkt von morgen – auch „Strommarkt 2.0“ genannt – stärkt Marktmechanismen und soll gleich mehrere große Herausforderungen meistern: Er muss für eine effiziente Stromversorgung bei wachsenden Anteilen erneuerbarer Energien sorgen und zugleich Versorgungssicherheit gewährleisten. Denn Versorgungssicherheit ist für einen so hoch entwickelten Industriestandort wie Deutschland außerordentlich wichtig. Damit das klappt, setzt der Strommarkt 2.0 auf eine möglichst kosteneffiziente Stromversorgung und auf die Kräfte des Marktes. Ein wichtiger Aspekt ist der „Wettbewerb der Flexibilitätsoptionen“: Gemeint sind damit sowohl Kraftwerke, die Strom flexibel erzeugen können, als auch Verbraucher, die ihre Stromnachfrage an das Stromangebot anpassen können, sowie Speicher.
Im Energiesystem der Zukunft richtet sich das Stromangebot nämlich nicht mehr nur an der Nachfrage aus, sondern umgekehrt soll auch der Verbraucher flexibler werden. Das heißt: Strom wird gezielt dann verbraucht, wenn gerade viel davon zur Verfügung steht. Zudem machen es variable Tarife möglich, dass es sich für Endverbraucher auch finanziell lohnt, den eigenen Verbrauch anzupassen.
Bei der anspruchsvollen Synchronisierung von Stromangebot und -nachfrage im künftigen Strommarkt, die der wetterabhängigen Einspeisung von Ökostrom gerecht wird, spielen auch Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Speicher und der europäische Stromhandel eine wichtige Rolle.
Kraftwerke können bei Bedarf einspringen
Sicher ist sicher: Um künftig auch in Extremsituationen Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird mit dem neuen Strommarktgesetz auch eine „Kapazitätsreserve“ eingeführt. Konkret heißt das: Mehrere Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von rund vier Gigawatt halten sich dauerhaft betriebsbereit. Sie nehmen nicht am normalen Strommarkt teil und liefern nur dann ausnahmsweise Strom, wenn die Stromnachfrage anderenfalls nicht gedeckt werden könnte.
Für den Winter gut zu wissen: Neben der Kapazitätsreserve regelt das Strommarktgesetz auch die „Netzreserve“ neu. Die Netzreserve garantiert einen sicheren Netzbetrieb und überbrückt Netzengpässe. Diese wird es noch solange geben, wie zentrale Netzausbauvorhaben noch nicht fertig gestellt sind. Die Netzreserve ist besonders in den Wintermonaten wichtig, da hier das Stromnetz in der Regel stärker belastet ist als im Sommer.
Sicherer Strom, weniger CO2
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Gesetzesentwurfs: Der Stromsektor soll mehr zum Klimaschutz beitragen. Dazu werden besonders alte und ineffiziente Braunkohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen und der Lausitz in eine Sicherheitsbereitschaft überführt und nach vier Jahren stillgelegt. Der reduzierte Betrieb und die Stilllegung vermindern den Ausstoß an klimaschädlichem CO2 und helfen so, Deutschlands nationale Klimaziele zu erreichen. Bis 2020 sollen die CO2-Emissionen hierzulande um 40 Prozent gegenüber 1990 sinken. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Koalitionsspitzen im Sommer beschlossen, zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 im Stromsektor einzusparen. Allein die Abschaltung der Braunkohlekraftwerke spart bis zu 12,5 Millionen Tonnen.
Schon 2016 geht’s los. Braunkohleblöcke der Unternehmen Mibrag, RWE und Vattenfall werden schrittweise aus dem Markt genommen und vorläufig stillgelegt. Für jeweils vier Jahre können sie noch als allerletzte Absicherung der Stromversorgung verwendet werden. Danach werden sie endgültig stillgelegt. Für die Herstellung der Sicherheitsbereitschaft und die Stilllegung der Anlagen erhalten die Betreiber eine Vergütung. Dafür fallen Gesamtkosten von rund 230 Millionen Euro pro Jahr über sieben Jahre an.
Mit dem Strommarktgesetz wird außerdem das Monitoring der Versorgungssicherheit verbessert. So soll die Versorgungssicherheit auch unter neuen Rahmenbedingungen gewährleistet werden. Anstatt im Monitoring ausschließlich die nationale Leistungsbilanz zu betrachten, wird künftig der Beitrag des europäischen Elektrizitätsbinnenmarktes zur Versorgungssicherheit stärker berücksichtigt. Mit anderen Worten: Der „Strommarkt 2.0“ soll konsequent europäisch gedacht werden. Das reduziert auch die Vorhaltekosten bei uns.
Blackouts selten wie nie
Bei aller Vorsorge lässt sich bereits heute festhalten: Bisher beeinträchtigte der hohe Anteil an erneuerbaren Energien nicht die Zuverlässigkeit der Stromversorgung. Im Gegenteil: So kurz wie im vergangenen Jahr war die Unterbrechungsdauer hierzulande noch nie. Das zeigen auch aktuelle Erhebungen der Bundesnetzagentur: Im gesamten Jahr 2014 waren die Menschen bundesweit im Durchschnitt nur zwölf Minuten und 17 Sekunden ohne Strom. Das sind etwa drei Minuten weniger als im Jahr 2013, als die durchschnittliche Zeit ohne Strom noch 15 Minuten und 19 Sekunden betrug.
Und das ist gut so. Denn bei Versorgungssicherheit geht es um mehr als die Sorge um Licht und Komfort. Eine störungsfreie Stromversorgung ist die Grundvoraussetzung dafür, dass viele Industrieprozesse überhaupt funktionieren. Stromausfälle können hohe betriebswirtschaftliche Kosten verursachen und mittelbar auch die Leistung der ganzen Volkswirtschaft beeinträchtigen. Damit die Energiewende ein Erfolg wird und unsere Versorgung sicher bleibt, gibt es in Zukunft den Strommarkt 2.0. Der Winter kann also kommen – nicht nur dieses Jahr, sondern auch in Zukunft.