Gezeitenströme und Wellen auf Knopfdruck
Die Windenergie spielt heute und auch in Zukunft die zentrale Rolle bei der Stromversorgung Deutschlands. Durch den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen oder durch die Elektromobilität nimmt der Strombedarf weiter zu. Um den steigenden Bedarf zu decken, muss die Windenergienutzung schnell und effizient ausgebaut werden.
Forschung und Entwicklung helfen dabei, neue und optimierte Technologien einzusetzen, die den erforderlichen Ausbau zuverlässig und kostengünstig gestalten. Doch Windräder auf See sind oft extremen Bedingungen ausgesetzt. Heftige Winde, starke Strömungen und häufig hoher Wellengang setzen ihnen zu. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten deshalb in vielen Forschungsprojekten daran, die Anlagen stetig zu optimieren. Doch die Praxistests in den Windparks der Nord- oder Ostsee sind aufwändig und teuer.
Einfacher gelingen sie im Großen Wellen-Strömungskanal (kurz GWK+) im niedersächsischen Hannover. Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen können dort Versuche durchführen. Der 300 Meter lange Wellen- und Strömungskanal kann künstlich Ebbe und Flut erzeugen und gleichzeitig bis zu drei Meter hohe Wellen. Da Versuche im GWK+ meist in einem Maßstab von 1:10 durchgeführt werden, lassen sich so auch Wellenhöhen von Jahrhundertfluten simulieren.
Herzstück des GWK+: die neue Strömungsanlage für Ebbe und Flut
Betrieben wird der Testkanal vom gemeinsamen „Forschungszentrum Küste“ der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität Braunschweig. Um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Industrieunternehmen neue Testmöglichkeiten bieten zu können, wurde der Kanal im Forschungsprojekt marTech grundlegend ausgebaut. Die neue Wellenmaschine kann höhere Wellen als das Vorgängermodell erzeugen. In der Mitte des Kanals kann nun außerdem ein 32 Meter langer Bereich im Vergleich zur umliegenden fest fixierten Bodenfläche je nach Bedarf zwei bis sechs Meter abgesenkt werden. Dort lässt sich der Meeresboden mit Sand und anderen Sedimenten nachbilden, um Verankerungen von Offshore-Windenergieanlagen zu testen.
Neues Herzstück des GWK+ ist die Strömungsanlage. Sie kann mit bis zu 20.000 Litern pro Sekunde eine gewaltige Gezeitenströmung erzeugen. Dadurch lassen sich realistische Aussagen zur Beanspruchung der Bauteile über den gesamten Lebenszyklus treffen. „Das ist eine weltweit einzigartige Forschungsinfrastruktur, erst recht in so einem großen Maßstab“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Torsten Schlurmann von der Leibniz Universität Hannover. Das BMWK hat das Projekt mit rund 35 Millionen Euro gefördert.
Kleiner Wellenkanal unterstützt bei Versuchsplanungen
Um unter anderem einschätzen zu können, welche Umbauten in welcher Form sinnvoll und gewinnbringend sind, hat die Technische Universität Braunschweig innerhalb ihres Teilprojektes eine Miniaturausgabe des erweiterten Wellen-Strömungskanals im Maßstab 1:10 konstruiert. „Dieser Mini-GWK+ ist mit 40 Metern Länge immer noch weltweit einzigartig“, sagt Prof. Dr. Nils Goseberg von der Technischen Universität Braunschweig, der die Arbeiten koordiniert hat. „Anhand von Voruntersuchungen können wir hier bereits erkennen, welche Konstellationen für den Großen Wellen-Strömungskanal in Frage kommen und so Zeit und Ressourcen sparen“.
Strom aus Offshore-Windenergieanlagen für die Energiewende
Für die Energiewende gewinnt die Stromproduktion auf See immer mehr an Bedeutung. Zum Jahreswechsel wurden im neuen Windenergie-auf See-Gesetz die Ausbauziele für die Nutzung von Offshore-Windenergie auf mindestens 30 Gigawatt im Jahr 2030, 40 Gigawatt im Jahr 2035 und 70 Gigawatt im Jahr 2045 erheblich angehoben. In sieben Jahren muss dafür die bestehende Leistung von derzeit circa acht Gigawatt bis 2030 nahezu vervierfacht werden. Es werden deshalb nicht nur mehr, sondern auch leistungsstärkere Windenergieanlagen benötigt.
Testanlagen müssen Schritt halten
Neben dem Großen Wellen-Strömungskanal wurde am 30. Juni auch ein XXL-Rotorblattprüfstand beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven im Beisein von Wirtschaftsminister Habeck eingeweiht. Mit dem neuen Prüfstand können besonders lange Rotorblätter getestet und für den Einsatz zertifiziert werden, denn moderne Windenergieanlagen drehen sich mittlerweile mit Rotorblättern von über 120 Metern Länge.
Im Norden von Hamburg besuchte der Wirtschaftsminister anschließend noch den Forschungspark Windenergie „WiValdi“, der in Kürze ebenfalls an den Start gehen wird. Untersucht werden hier unter anderem die Details der Luftverwirbelungen in Windparks und die Frage, wie die unvermeidliche gegenseitige Beeinflussung der Windenergieanlagen innerhalb eines Windparks reduziert werden kann.
„Die drei neuen Forschungseinrichtungen in Hannover, Bremerhaven und Krummendeich fügen sich in die schon seit Jahren vom BMWK verfolgte Strategie zum Ausbau und Betrieb einer offenen Forschungsinfrastruktur für die Windenergie“, sagte Habeck anschließend. „Sie werden – zusammen mit der Expertise der Forscherinnen und Forscher, die sie nutzen – dazu beitragen, die Innovationspipeline gefüllt zu halten.“
Grundlage für die neuen Forschungsanlagen ist das Energieforschungsprogramm der Bundesregierung. Auch die aktuell geplante 8. Fassung des Programmes sieht weiterhin die umfangreiche Förderung der Windenergieforschung vor.