Ein Stromnetz für die Klimaneutralität
Bis 2045 soll unser Energiesystem klimaneutral funktionieren und arbeiten. Schon 2030 sollen dafür 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Der Ausbau, vor allem der Energiegewinnung aus Sonne und Wind, wird deshalb deutlich beschleunigt. Unser Stromnetz muss damit Schritt halten können und künftig vielen neuen Anforderungen gerecht werden. Dafür wird es auf tausenden Kilometern aus- und umgebaut. Doch wo stehen wir in Sachen Netzausbau eigentlich und wie muss es aussehen, das Stromnetz der Zukunft?
Netzausbau-Planungen starten zehn bis 15 Jahre vor Baubeginn
Niemand weiß ganz genau, wieviel Strom wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren benötigen, wieviel Energie aus welchen Quellen in die Stromnetze eingespeist und wieviel entnommen wird. Trotzdem müssen in der Zukunft genügend Leitungen vorhanden sein, damit die Stromversorgung verlässlich bleibt. Ein Netzausbau muss also früh – zehn bis 15 Jahre im Voraus – und möglichst exakt geplant werden, um unnötige Kosten zu vermeiden. Dabei sind viele Fragen im Spiel: Wie hoch ist der Verbrauch in Zukunft? Wie hoch ist der Anteil an Strom aus Erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne? Welche Rolle spielen Elektrofahrzeuge, die nicht nur Strom benötigen, sondern Strom auch flexibel laden und speichern könnten? Wie wird sich die Anzahl von kleinen Photovoltaikanlagen auf Eigenheimen entwickeln, die privat genutzt werden, aber auch Strom in kleineren Mengen handeln können? Und wie werden neue Technologien dazu beitragen, die Netze stabil zu halten?
Im Netzentwicklungsplan Strom (NEP Strom) ermitteln die Übertragungsnetzbetreiber alle zwei Jahre den Ausbaubedarf des deutschen Stromnetzes auf Übertragungsnetzebene. Insgesamt etwa 38.000 Kilometer lang sind die großen Übertragungsnetze derzeit in Deutschland. Mit ihnen wird der Strom mit Höchstspannung über große Distanzen transportiert, bis die Verteilnetze übernehmen und einzelne Regionen mit Strom versorgen. Der erste Schritt für ihren Ausbau ist der sogenannte Szenariorahmen. Er bildet die Grundlage für den Netzentwicklungsplan, indem er die Annahmen für die Netzplanung festlegt.
Dafür werden Szenarien definiert, die eine wahrscheinliche Entwicklung der Energielandschaft zeigen. Auf dieser Grundlage planen die Übertragungsnetzbetreiber das Stromnetz und reichen ihren Vorschlag im Netzentwicklungsplan zur Bestätigung bei der Bundesnetzagentur ein. Auch wenn der Netzentwicklungsplanprozess ein wiederkehrender Prozess ist und deshalb keine endgültig abgeschlossene Netzplanung liefert, gibt er doch einen ersten Blick frei auf das Netz, das zur Erreichung der Klimaneutralität notwendig ist.
Blick in die Zukunft: Der Szenariorahmen für die Jahre 2037 und 2045
Der aktuelle Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan 2023 betrachtet die Jahre 2037 sowie 2045 und beschäftigt sich damit erstmalig mit diesem Ziel. Dabei bezieht er einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Industrie mit ein – mit einem zukünftig hohen Anteil an E-Autos, Wärmepumpen und einem steigenden Bedarf an sogenanntem grünem Wasserstoff. Der im Szenariorahmen für das Jahr 2045 angenommene Stromverbrauch liegt nun bei über 1.000 Terawattstunden (TWh). Die angenommen Ausbauwerte der Erneuerbaren Energien liegen bei etwa 70 Gigawatt (GW) für Offshore-Windenergie und 160 GW für Windenergie an Land sowie 400 GW aus Solarenergie.
Darauf basierend wurden von der Bundesnetzagentur drei Entwicklungspfade als Grundlage für die weitere Netzplanung genehmigt: Pfad A mit relativ starker Nutzung und Erzeugung von Wasserstoff. Insbesondere im Schwerlastverkehr und in der Industrie wird hier mehr Wasserstoff als in den anderen Szenarien genutzt. Pfad B, in dem diese Sektoren stärker elektrifiziert werden und gleichzeitig mögliche Effizienzpotentiale zur Verbrauchsreduktion verstärkt gehoben werden können. Und schließlich Pfad C, in dem diese Effizienzpotentiale bei gleichem Elektrifizierungsgrad ungenutzt bleiben. Der Szenariorahmen gibt also eine Spannweite möglicher Entwicklungen vor, für die das Übertragungsnetz im Netzentwicklungsplan geplant werden muss.
Lange Leitung: So könnte das Stromnetz ausgebaut werden
Im Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber sind zur „Bewältigung des resultierenden Transportbedarfes“ fünf neue Gleichstromverbindungen an Land vorgesehen, von denen zwei in bereits geplanten Trassen geschaffen werden können. Außerdem werden 20 neue Offshore-Netzanschlüsse geplant. Zusätzlich schlagen die Übertragungsnetzbetreiber einen weiteren Ausbau des Wechselstromnetzes auf 4.500 Kilometern Länge vor. Viele dieser Vorhaben können in bestehenden Trassen umgesetzt oder gebündelt werden. Auch die Bündelung von Offshore-Netzanschlüssen und Maßnahmen an Land ist geplant.
Der Entwurf des Netzentwicklungsplans weist über alle Szenarien und beide Zieljahre hinweg denselben Netzausbaubedarf aus. Damit wird klar: Unabhängig vom Planungsszenario wird bereits im Jahr 2037 ein erheblicher zusätzlicher Netzausbaubedarf erforderlich sein.
Bei dem am 24. März veröffentlichten Entwurf handelt es sich zunächst um einen Vorschlag der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber. Voraussichtlich im Juni 2023 werden diese den zweiten Entwurf bei der Bundesnetzagentur einreichen. Die Bundesnetzagentur muss diesen Entwurf prüfen und ihre vorläufige Einschätzung zur Konsultation stellen. Die Genehmigung des Netzentwicklungsplans könnte Anfang 2024 erfolgen.