Architekturmodell Wohnstrasse © Netze BW / Andreas Martin

Sonnige Aussichten: Ein schlaues Stromnetz für den Schwarzwald

Das Stromnetz der Zukunft soll so flexibel sein wie die Energie aus Wind und Sonne. Mithilfe des Energieforschungsprojekts „flexQgrid“ in Baden-Württemberg wird das herkömmliche Stromnetz deshalb zu einem intelligenten Netz umgebaut.

Eine ländliche Idylle: Wiesen, einzelne Gehöfte, grüne Hügel – auf den ersten Blick deutet in der Gemeinde Freiamt kaum etwas darauf hin, dass die Zukunft unserer Stromnetze hier schon jetzt Realität wird. Doch Freiamt ist etwas Besonderes – ein Netzlabor. In einem Feldtest untersuchen Forscherinnen und Forscher hier unter realen Bedingungen, wie verschiedene Stromerzeugungs- und Speicheranlagen sicher und schnell ans Netz angebunden werden können und was den Menschen dabei wichtig ist.

Der Hintergrund: Um die Energieversorgung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Erzeugungsanlagen umzustellen, muss die Netzinfrastruktur entsprechend angepasst werden. Früher wurde der Strom in großen Kraftwerken produziert und zwar dort, wo der Strom gebraucht wurde. Strom aus erneuerbaren Energiequellen hingegen wird im Allgemeinen dort produziert, wo der Ertrag von Photovoltaik- und Windenenergie-Anlagen besonders hoch ist. Für Windenergie-Parks findet man zum Beispiel in Norddeutschland günstige Bedingungen vor. Dieser Strom muss mittels großer Übertragungsleitungen über längere Entfernungen in den Rest des Landes und insbesondere zu Großverbrauchern wie Industrie und Gewerbe transportiert werden. So liegen große Ballungsgebiete und Verbrauchszentren in West- und Süddeutschland.

Damit der Strom transportiert werden kann, müssen die Netze modernisiert und erweitert werden, denn ihre Kapazitäten reichen derzeit nicht aus, um große Mengen an verschiedenen Standorten gleichzeitig eingespeisten Öko-Stroms aufzunehmen und weiterzuleiten. Doch der Netzausbau nimmt Zeit in Anspruch. Auch kleinere, dezentrale Erzeugungsanlagen, die an die Verteilnetze angebunden sind, spielen zunehmend eine Rolle.

Deshalb ist es wichtig, die bestehenden Netze auf allen Ebenen so zu modernisieren, dass sie den Anforderungen auch gerecht werden, die die erneuerbaren Energien an sie stellen. Nur so kann die Energieversorgung so zuverlässig und sicher bleiben wie bisher. Das Stromsystem muss also flexibel werden und sich an die veränderten Bedingungen anpassen. Neben einem flächendeckenden Netzausbau kann eine digitalisierte und flexible Netzinfrastruktur bei der Verteilung von grünem Strom helfen und gleichzeitig die Zeiten verringern, in denen Windenergie- oder Photovoltaik-Anlagen aufgrund geringer Netzkapazität abgeregelt werden müssen. Wie das geht? Zum Beispiel könnten Ladevorgänge von Elektroautos gezielt gesteuert werden, um zu verhindern, dass das Netz überlastet wird.

Auch Stromspeicher können einen Beitrag leisten. Das hilft auch immer mehr klassischen Verbrauchern wie Unternehmen und Privathaushalten, welche selbst kleinere Mengen Strom - etwa mit einer Photovoltaikanlage - erzeugen und so gleichzeitig zu Produzenten (sogenannten Prosumern) werden. Ein fortschrittliches Stromnetz ermöglicht über weniger Abregelungen von erneuerbaren Stromquellen und neuen Dienstleistungen wie gesteuerte Ausspeicherung beziehungsweise Stromnachfrage neue Geschäftsmodelle auch für Prosumer.

Optimaler Netzbetrieb durch Digitalisierung und neue Technologien

Im Gegensatz zu klassischen Erzeugungsanlagen wie Kohlekraftwerken hängt die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen stark vom Wetter ab und schwankt dementsprechend. Genügend Energie muss aber auch dann zur Verfügung stehen, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Damit das zunehmend besser gelingt, muss das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von Strom geschickt gestaltet werden.

Ziel des Projekts „flexQgrid“ ist es deshalb, beispielhaft zu untersuchen, wie unsere Verteilnetze durch den Einsatz digitaler Technologien effizienter nutzbar gemacht werden können - ein wichtiger Beitrag zur Flexibilisierung der Stromnetze. Die eingesetzten Technologien ermöglichen es, die sich stetig ändernden vorherrschenden Bedingungen im Stromnetz und bei den wetterabhängigen erneuerbaren Energiequellen durch Mess-, Informations- und Kommunikationstechnologie automatisch zu erkennen, vorausschauend vorherzusagen und den Netzbetrieb dementsprechend zu steuern und zu regeln. Das herkömmliche Stromnetz wird so zu einem intelligenten Netz – einem sogenannten Smart Grid. In einem solchen Smart Grid verbindet moderne Kommunikationstechnik die verschiedenen Teile des Energiesystems wie die Stromerzeugung und den Stromverbrauch und stimmt diese aufeinander ab. So kann erneuerbare Energie besser in das Stromnetz integriert und das Netz optimal ausgelastet werden. Smart Grids gelten deshalb als wichtige Voraussetzung für den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen.

Ein Netzlabor namens Freiamt: Sonnige Aussichten für die Energiewende

Warum gerade Freiamt? Weil der Ort im Süden Baden-Württembergs besonders sonnenverwöhnt ist, wird dort drei Mal mehr erneuerbare Energie produziert, als die Einwohner verbrauchen können. Damit bietet die Gemeinde beste Voraussetzungen für den Blick in die Energiezukunft. Schon den groß angelegten Feldtest zu ersten Umbaukonzepten im Vorgängerprojekt „grid-control“ hatten rund 30 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt. Der Feldtest im Rahmen von „flexQgrid“ soll wieder im NETZlabor Freiamt der Netze BW stattfinden, da die bereits vorhandene Infrastruktur weiterverwendet werden kann. Dieses Mal sollen jedoch mehr flexible Anlagenleistung als in „grid-control“ und vermehrt unterschiedliche Anlagenarten angebunden werden.

In dem Feldtest untersuchen die Projektpartner, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Privatpersonen und Marktparteien, angereizt werden können, netzdienliche Flexibilität bereitzustellen. Zum Beispiel werden in den Einfamilienhäusern der teilnehmenden Haushalte, die mithilfe von Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach selbst Energie erzeugen, auch Batteriespeicher, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge einbezogen.

Das erhöht die Bandbreite der angebundenen Flexibilitätsarten und sorgt dafür, dass die Projektpartner eine zuverlässige Flexibilitätsbereitstellung und Sektorkopplung erproben können. Das Forscherteam rüstet die genannten installierten Anlagen der Kundinnen und Kunden zudem mit moderner Mess- und Steuerungstechnik aus. Das ist eine wichtige technische Voraussetzung, die es den Fachleuten ermöglicht, die Anlagen von außen zu steuern und so verschiedene Optionen der bestmöglichen flexiblen Nutzung zu testen.

Die Elektro-Autos beispielsweise sind dagegen ein Baustein, mit dem die Forschenden untersuchen, wie stark das Netz beim gleichzeitigen Laden vieler Elektrofahrzeuge innerhalb eines Netzabschnitts beansprucht wird und wie sich das Ladeverhalten der Feldtestteilnehmerinnen und -teilnehmer diesbezüglich beeinflussen lässt. Die gewonnenen Erkenntnisse nutzen die Fachleute als Grundlage, um Algorithmen zur optimierten Flexibilitätsbereitstellung eines Netzbereichs zu entwickeln.

Mit ihren Tests wollen die Fachleute nachweisen, dass die im Projekt „grid-control“ entwickelten Konzepte und Systemlösungen nun praktisch umgesetzt und eingesetzt werden können. Später sollen die Erkenntnisse des zweiten Feldtests im Rahmen von „flexQgrid“ (ab Sommer 2021) genutzt werden, um die Konzepte anzupassen.

Noch bis Oktober 2022 haben die neun beteiligten Partner aus Netzbetrieb, Industrie und Wissenschaft unter Leitung des Verteilnetzbetreibers Netze BW dann Zeit, ihre Ideen ausgiebig zu erproben.

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