Unter der Oberfläche: Saubere Wärme mit Tiefgang
Wie können unsere Städte künftig klimafreundlich mit Wärme und Strom versorgt werden? Wie lassen sich Wohnen, Arbeiten und Infrastruktur möglichst energieoptimiert gestalten? Und unter welchen Voraussetzungen ist in Stadtquartieren eine verlässliche und gleichzeitig bezahlbare Wärmeversorgung möglich, die sich auf erneuerbare Energien stützt? Antworten auf diese Fragen bekommen die Menschen des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg zukünftig direkt vor der Haustür und sogar in den eigenen vier Wänden.
Die im Süden Hamburgs gelegene Elbinsel ist der flächenmäßig größte Stadtteil der Hansestadt und wird zukünftig Lebensmittelpunkt für rund 70.000 Menschen sein. Im August 2020 ist dort unter dem Titel „Integrierte WärmeWende Wilhelmsburg (IW³)“ ein neues Reallabor der Energiewende gestartet. Ob hier jetzt alle im weißen Kittel herumlaufen? Nein, denn Reallabore sind keine Labore in einem Forschungsgebäude, sondern groß angelegte Modellregionen, in denen für einen bestimmten Zeitraum Ideen und Lösungen praktisch erprobt werden, die Forscherinnen und Forscher entwickelt haben - zum Beispiel im Energiebereich. Mit den gewonnenen Erfahrungen und Musterlösungen können die Reallabore später ein Vorbild für die Umsetzung in anderen Regionen sein.
In Hamburg Wilhelmsburg beschäftigen sich verschiedene Projektpartner aus Forschung und Industrie mit Fragen der sogenannten regenerativen Wärmeversorgung. Sie wollen zukünftig klimafreundliche Wärme aus unterschiedlichen Quellen für ein ganzes Stadtquartier bereitstellen. Dabei geht es dem Forscherteam vor allem um die umweltfreundliche Erzeugung, Speicherung, Verteilung und Nutzung von Wärme. Denn die Wärmewende – die Energiewende im Wärmebereich – ist Voraussetzung dafür, dass die Energiewende als Ganzes gelingt.
Geothermie-Anlage als Herz des Reallabors
Damit die Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien funktioniert, soll auch Erdwärme in die Versorgung einbezogen werden. Denn Norddeutschland verfügt über ein großes geothermisches Energiepotenzial, also tief unter der Oberfläche vorhandene Erdwärme. Die Projektpartner des Reallabors haben Konzepte entwickelt, um diese Energiequelle zu nutzen. Geplant ist, in einer Tiefe von etwa 3,5 Kilometern Erdwärme aus einer Thermalwasser-Lagerstätte zu gewinnen. Für diese sehr salzhaltigen Thermalwässer werden Temperaturen von etwa 130 Grad Celsius erwartet – ideal für die geothermische Nutzung.
Dafür wird das heiße Wasser zunächst aus dem Untergrund nach oben gefördert, bevor ihm über Wärmetauscher die geothermische Energie entzogen wird. Anschließend kann die so gewonnene Wärme direkt in das lokale Nahwärmenetz eingespeist werden. Das abgekühlte Wasser wird zurück in den Untergrund geleitet und erwärmt sich dort erneut. So entstehen zwei Kreisläufe: einerseits zirkulierendes Wasser vom Boden bis in die tief liegenden Erdschichten, das genutzt wird, um Erdwärme zu gewinnen und andererseits zirkulierendes Wasser im Wärmenetz, das Haushalte mit Wärme versorgt. Im Sommer kann auch eine nahe an der Oberfläche liegende Sandschicht genutzt werden, um über den eigentlichen Bedarf hinausgehende Wärme zwischenzuspeichern. Sie steht dann im Winter wieder zur Verfügung. Das funktioniert mithilfe eines sogenannten Aquiferspeichers, eines natürlichen Speichers in Gesteinsschichten im Untergrund.
Ein digitaler Marktplatz für Wärme aus unterschiedlichen Quellen
Neben baulichen Faktoren setzt das Reallabor für eine integrierte Wärmewende auch auf eine konsequente digitale Vernetzung. Denn sowohl die Erzeugung und der Handel von Wärme als auch die Schnittstelle zwischen Wärme- und Strommarkt sollen so effizient wie möglich gestaltet werden. Ein intelligentes Wärmenetz verbindet deshalb mittels eines virtuellen Kraftwerks die unterschiedlichen Erzeuger miteinander. Durch detaillierte Prognosen des Wärmeabsatzes und des Wärmebedarfs soll der Einsatz der einzelnen Anlagen optimal gesteuert werden. Auf einem digitalen Wärme-Marktplatz werden dafür alle Energiemengen aus lokaler Erzeugung und alle Verbraucher zusammengefasst. Wie auf einem realen Marktplatz kann der digitale Marktplatz diverse Angebote beinhalten – in diesem Fall solche für lokale Wärmemengen verschiedenster Herkunft. Aus diesem Angebot können Abnehmer schließlich auswählen und dabei festlegen, aus welchen erneuerbaren Quellen die Energie stammen soll, die sie nutzen wollen.
Reallabor als Blaupause für die Energiewende
Rund 45 Prozent betrug der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland im Jahr 2020. Fast die Hälfte des verbrauchten Stroms stammt also bereits aus erneuerbaren Quellen. Geheizt wird in Deutschlands Städten aber noch immer zu einem Großteil mit fossilen Energieträgern wie Erdgas oder Erdöl. Deshalb sind die innerhalb des Reallabors IW³ erprobten Technologien und Verfahren eine wichtige Blaupause für eine Wärmeversorgung mit CO2-freier Energie auch in anderen Städten und Quartieren in Deutschland – vor allem wenn es um die Nutzung geothermischer Energie geht.
IW³ ist, wie alle Reallabore der Energiewende, Teil des 7. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung. Es wurde zusammen mit 19 weiteren Projekten als Gewinner des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ausgerichteten Ideenwettbewerbs „Reallabore der Energiewende“ ausgewählt. Das BMWi fördert die verschiedenen Projektpartner, die im Reallabor IW³ zusammenarbeiten, mit insgesamt rund 22,55 Millionen Euro. Koordiniert wird das Vorhaben vom städtischen Energieversorger „Hamburg Energie“.
Weiterführende Informationen:
- News zum Start des Reallabors IW³ auf dem Fachportal strom-forschung.de: „Reallabor IW³ startet in Hamburg“
- Projektporträt zu IW³ auf dem Fachportal enegiewendebauen.de: „Nachhaltige Wärmeversorgung von Stadtquartieren“
- Fachportal energieforschung.de: „Reallabore der Energiewende“
- Website von Hamburg Energie
- Website der Geothermie Wilhelmsburg GmbH