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Der Zukunft voraus

Vom Heizen mit einem schlauen Wohnungsmanager bis zum flexibel steuerbaren Schmelzofen im Stahlwerk: Das Forschungsprogramm SINTEG geht zu Ende und liefert neue Technologien für die Energiezukunft.

Manfred Riedel ist die Begeisterung deutlich anzusehen. Im Kellerraum eines Wohnhauses aus den 60er Jahren im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg steht ein Stück Energiewelt der Zukunft, an dem der Ingenieur mitgearbeitet hat. "Wir haben in 224 traditionellen Wohnhäusern eine hochmoderne Smart-Building-Technik (übersetzt etwa: intelligente Haustechnik) eingebaut", erklärt er. "Damit sparen wir 24 Prozent Heizenergie". Nur rund 25 Euro je Quadratmeter hat die zuständige Wohnungsbaugenossenschaft dafür investiert und musste nicht einmal die Warmmieten erhöhen. Gleichzeitig kann das kleine Nahwärmenetz des Quartiers jetzt auch elektrisch beheizt werden, wenn gerade viel erneuerbarer Strom verfügbar und deshalb günstig ist. Oder wenn, zukünftig einmal, günstiger Solarstrom vom eigenen Dach zur Verfügung steht.

Mithilfe von Temperaturfühlern, elektrischen Thermostatventilen, Bewegungsmeldern und Steuerungsdisplays können die Mieter die Temperaturen für einzelne Räume genau vorgeben: Am Morgen zwischen 6 und 8 Uhr soll das Bad kuschlige 23 Grad haben. In der Küche bitte 20 Grad von 7 bis 9 Uhr und im Schlafzimmer 17 Grad in der Nacht, sonst ungeheizt. Ein digitaler, selbstlernender Wohnungsmanager legt dafür eigenständig fest, wie viel Zeit er für das Aufwärmen der Wohnungen braucht. Dabei berücksichtigt er unter anderem die Außentemperaturen und die Wetterprognose. Er weiß deshalb, ob es am Nachmittag voraussichtlich regnen wird, die Sonne scheint, oder der Wind weht. Eine Zeitreise in die Energiewelt der Zukunft, die hier längst Realität ist.

Ein Forschungsprojekt - mehr als 300 Partner

Die technischen Lösungen für eine flexible Energieversorgung mithilfe der Sektorkopplung von Strom und Wärme in den Wohnblocks der Berliner Hosemannstraße sind nur eines von vielen Erfolgsprojekten des Förderprogramms "SINTEG – Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende", das im November 2020 in großen Teilen zu Ende gegangen ist. Einzelne Projekte laufen noch bis zum 31. März 2021. Fünf "Schaufenster" genannte Modellregionen in Deutschland hatten zuvor vier Jahre lang deutschlandweit innovative Lösungen für die technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen der Energiewende entwickelt und getestet.

Staatssekretär Feicht lobte das Engagement der mehr als 300 SINTEG-Partner auf der Abschlusskonferenz des Förderprogramms: "Die Empfehlungen der SINTEG-Experten werden wir in die Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens einfließen lassen. Der erfolgreiche Abschluss von SINTEG zeigt auch, dass Reallabore ein geeigneter Rahmen sind, um akteursübergreifende Problemlösungen und Innovationen hervorzubringen und auszuprobieren". Das BMWi hat die Schaufensterregionen mit insgesamt rund 200 Millionen Euro gefördert. Zusammen mit zusätzlichen privaten Investitionen der beteiligten Unternehmen wurden so rund 500 Millionen Euro in die intelligente Energieversorgung der Zukunft investiert.

Jedes der fünf Schaufenster funktioniert wie ein "Reallabor". Dabei dreht sich alles um die digitale Vernetzung von Energie und die Herausforderungen, die mit der Energiewende und dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung einhergehen. Es ging um Fragen wie: Wie können die Netze stabil bleiben, wenn Energie gleichzeitig immer unsteter eingespeist wird? Wie können Energieerzeugung, -speicherung und -verbrauch sowie Netze intelligent zusammenwirken? Wie können Industrie und Privatverbraucher den Strom aus erneuerbaren Quellen unabhängig vom Zeitpunkt seiner Erzeugung nutzen – etwa in Heizanlagen oder Elektroautos?

WindNODE: Flexible Verbraucher

Die Antworten auf diese Fragen sollen als "Blaupausen" auf andere Regionen und ähnliche Problemstellungen übertragbar sein. Das funktioniert auch mit dem WindNODE-Projekt zum Thema Smart Building (im Deutschen etwa: intelligente Gebäude), denn solche Wohnblocks aus den 60er Jahren gibt es viele in Deutschland. Allein das Schaufenster WindNODE umfasst alle Bundesländer im Nordosten Deutschlands. In der Region wird schon heute die Hälfte des Stromverbrauchs mit Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt, die hier aber nicht immer benötigt wird. Im Fokus des Projekts standen deshalb einerseits Speichertechnologien wie große Batterien, Elektroautos oder elektrische Wärmeerzeugung ("Power-to-Heat") und andererseits Stromkunden, die ihren Verbrauch flexibel erhöhen können, wenn gerade viel Wind- und Sonnen-Energie zur Verfügung steht.

C/sells: Kommunizierende Zellen

Das Schaufenster C/sells nimmt die Fläche der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ein. Hier wurde ein Energiesystem erdacht und erprobt, in dem sich kleinere Energie-"Zellen" – zum Beispiel eine Region, ein Stadtteil oder einzelne Häuser – weitestgehend selbst versorgen. Die Zellen tauschen untereinander überschüssige oder fehlende Energie aus. Sie sind digital miteinander vernetzt, so dass überschüssige Energie automatisch immer dorthin gelangt, wo sie gerade gebraucht und sonst gespeichert wird. Dafür entwickelte C/sells zum Beispiel ein innovatives Infrastruktur-Informationssystem (IIS), das den sicheren Austausch von Informationen und Daten zwischen den einzelnen "Zellen" möglich macht. Es setzt außerdem auf einen flexiblen Energiemarkt – also die Möglichkeit, den Verbrauch an die Energieerzeugung anzupassen.

DESIGNETZ: Drei Bundesländer testen das Stromnetz der Zukunft

Das Projekt DESIGNETZ hat Lösungen für ein sicheres und flexibles Energiesystem mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien entwickelt. Wichtigstes Ziel: Strom möglichst dort verbrauchen, wo er erzeugt wird. Dazu braucht es auch Speichertechnologien für die Sektorkopplung, bei der grüner Strom für Wärmeerzeugung und Elektromobiltät eingesetzt wird. Entstanden sind mehr als 30 Einzelprojekte entlang der "Route der Energie" in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Mit der DESIGNETZ-App kann jeder die Komplexität des entstandenen Energiesystems erleben, in dem alles zusammenhängt und miteinander verknüpft ist. Die Nutzer reisen durch die 30 Projektstationen. Unterwegs müssen sie das Stromverteilnetz stabil halten und können lernen, wie die Energiesysteme der Zukunft funktionieren.

NEW 4.0: Digitale Technologien

"NEW" steht für die Norddeutsche Energiewende und "4.0" für die vierte industrielle Revolution, also für Digitalisierung und Vernetzung. Das Schaufenster NEW 4.0 verbindet Hamburg als großen Stromverbraucher mit dem viel Windenergie liefernden Schleswig-Holstein. Ziel war hier eine sichere und kostengünstige Stromversorgung mit einem Erneuerbare-Energien-Anteil von 100 Prozent im Jahr 2035. Eine flexible Stromhandelsplattform (ENKO, kurz für "Energien intelligent koordiniert") bringt dafür Marktteilnehmer zusammen, um Stromangebot und -nachfrage zu bündeln und das Ungleichgewicht zwischen Stromverbrauch und -erzeugung ins Gleichgewicht zu bringen. So kann mehr Strom aus erneuerbaren Energien ins Stromnetz eingespeist werden. Neue Batteriespeicher helfen dabei, das Netz zu entlasten und kurzfristige Schwankungen auszugleichen. Erprobt wurde auch, wie industrielle Verbraucher statt konventioneller Kraftwerke dazu beitragen können, das Stromnetz zu stabilisieren. In einem Stahlwerk konnte zum Beispiel der Stromeinsatz im Schmelzofen so flexibel gestaltet werden, dass er auch mit der schwankenden Einspeisung von erneuerbaren Energien sicher betrieben werden kann.

enera: Regionaler Marktplatz

In der Modellregion enera im Nordwesten Niedersachsens werden große Mengen Windenergie erzeugt, für deren Transport die Netzkapazität nicht immer ausreicht. enera hat deshalb getestet, wie sich Stromnetze und Märkte, Speicher-, Kommunikations- und Verbrauchstechnologien mit Hilfe digitaler Technologien intelligent kombinieren lassen - wenn das statische Energienetz der letzten Jahrzehnte durch ein flexibles Versorgungssystem ersetzt wird. Dazu wurden zum Beispiel Stromzähler in Haushalten und Betrieben mit einem intelligenten Auslese - und Kommunikationsmodul (SAM) ausgerüstet, das mit Smartphone und App einen genauen Vergleich des täglichen Stromverbrauchs möglich macht. Zusätzlich wurden Knotenpunkte im Stromnetz mit digitaler Messtechnik ausgestattet - die Grundlage für ein intelligentes Energiesystem, das den Strom automatisch dorthin steuert, wo er gebraucht wird. Die erzeugte Energie wird hier über einen digitalen Marktplatz gehandelt. Dank dieser lokalen börsenbasierten Stromhandelsplattform können sogenannte Netzengpässe vermieden werden. Ein ins Netz integrierter Hybrid-Großspeicher liefert Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit von Speichern und über Vermarktungsstrategien im Rahmen neuer Stromhandels-Geschäftsmodelle.

Bauplansatz und Netzwerk für die Energiewendezukunft

Mit dem Ende des Forschungsprogramms ist der Schaufensterbummel in der Energiewelt der Zukunft aber längst nicht vorbei. Im Gegenteil: Mit den Ergebnissen kann das Sortiment aus Blaupausen jetzt nicht nur erweitert werden, sondern bald auch "in Produktion" gehen. Die Ergebnisse werden dafür gerade gesammelt und so aufbereitet, dass sie allen Beteiligten als eine Art Bauplansatz für die weitere Energiewende zur Verfügung stehen. Sie sind voraussichtlich im Laufe des Jahres 2021 auf der SINTEG-Website (www.sinteg.de) online, die nochmal einen umfassenden Überblick über alle Schaufenster und Projekte gibt und viele der technischen Lösungen spannend aufbereitet erzählt.

SINTEG hat aber nicht nur wichtige Puzzleteile der Energiewende zusammengebracht, sondern auch ein Netzwerk aus Hunderten Expertinnen und Experten, das auch nach Projektende weiter bestehen und gepflegt werden soll. Ein "Who-is-Who"-Verzeichnis, mit dem sich Expertinnen und Experten zielgenau finden lassen, ist unter wirSINTEG.de verfügbar. Die Plattform "ResearchGate" listet wissenschaftliche Publikationen aus allen fünf SINTEG-Schaufenstern auf und macht sie per Link zugänglich (www.bit.ly/SINTEG-RG) und das Karrierenetzwerk "LinkedIn" stellt für Energie-Professionals einen Kommunikationskanal über SINTEG bereit.

Zum Start von SINTEG galt vieles noch als Zukunftsmusik, heute ist es schon greifbar und muss nun morgen schon umsetzbar sein. Denn unser Energiesystem verändert sich weiter rasant. Viele wichtige Anreize für den weiteren Wandel sind in den vergangenen vier Jahren hinzu gekommen – unter anderem mit dem Kohleausstieg, der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, der Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) oder einem CO2-Preis für Wärme und Verkehr. Auf europäischer Ebene will Deutschland seine EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um zum Beispiel gemeinsame Offshore-Windparks sowie Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung des Gassektors und internationale Energiepartnerschaften für Wasserstoff voranzubringen.

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