Ist die Zukunft der Luftfahrt elektrisch?

Zu dieser Frage äußern sich Dr. Frank Anton, Leiter eAircraft, Corporate Technology bei Siemens und Dr. Rainer Martens, Vorstand Technik bei MTU Aero Engines.

PRO: Dr. Frank Anton

Dr. Frank Anton, Leiter eAircraft, Corporate Technology bei Siemens © Siemens AG

Haben wir eine Wahl? Ich bin mir sicher: nein! Die Luftfahrt wird immer elektrischer werden, und aufhalten lässt sich diese Entwicklung nicht.

Warum?

Einer der Gründe heißt „Flightpath 2050“. Das Positionspapier der Europäischen Kommission formuliert, wie sich die Luftfahrt in Zukunft verändern muss. Kern des Dokuments: Bis 2050 sollen neuen Technologien und Prozeduren die CO2-Emissionen in der Luftfahrt bis zu 75 Prozent senken. Und das, obwohl sich das Volumen des Luftverkehrs in der gleichen Zeitspanne verdoppeln könnte, wie Experten vermuten.

Heute sind wir noch weit entfernt von einer praktischen Umsetzung. Gasturbinen-Triebwerke dominieren den weltweiten Passagierverkehr. Zwar sind ihre Leistungen stetig gesteigert und ihre Emissionen immer weiter gesenkt worden, an die Ziele von „Flightpath 2050“ wird man mit dieser Technologie alleine aber nicht annähernd herankommen.

Emissionen so weitgehend reduzieren – das wird nicht gehen ohne die Elektrifizierung der Luftfahrt. Hybrid-elektrische Antriebssysteme treiben Propeller oder Fans elektrisch an und erzeugen den Strom mit Gasturbinen, die auf konstante Reiseleistung optimiert werden können. Im Steigflug kommt elektrische Energie aus Batterien hinzu. Durch die Trennung von Energieumwandlung und Schuberzeugung werden neue Wege im Flugzeugentwurf begehbar. Die zentrale Energieumwandlung und die verteilte elektrische Schuberzeugung können jeweils einzeln optimiert werden. Reduktionen des Kraftstoffverbrauchs und Schadstoffausstoßes um 25 bis 50 Prozent und erhebliche Lärmreduktion sind denkbar.

Elektrische Flugzeuge können wesentlich leiser sein als herkömmliche Maschinen. Anwohner von Flughäfen profitieren; Abend- und Nachtflüge, die bislang aus Lärmschutzgründen verboten sind, wären möglich.

Die Vorteile hybrid-elektrischer Antriebe liegen auf der Hand. Sie werden übrigens auch von allen künftigen Verbesserungen bei Gasturbinen und Errungenschaften bei nachhaltigen Treibstoffen ein zu eins profitieren – denn es bleiben ja weiterhin die Gasturbinen, welche die Energie aus dem mitgeführten Treibstoff herausholen. Doch mal eben die gesamte Luftfahrt elektrifizieren, das wird nicht funktionieren. Noch sind die Antriebe nicht ausreichend entwickelt und zertifiziert, es steht uns noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit bevor. Aber diese Herausforderungen gilt es anzunehmen. Wir haben keine Wahl. Und die Welt wird immer elektrischer, ob zu Land, zu Wasser oder auch in der Luft.

Dr. Frank Anton ist Leiter eAircraft, Corporate Technology der Siemens AG.

CONTRA: Dr. Rainer Martens

Dr. Rainer Martens, Vorstand Technik bei MTU Aero Engines © MTU Aero Engines AG

Das Thema E-Fliegen hat in der Diskussion über die Umweltverträglichkeit des Luftverkehrs in letzter Zeit einen hohen Stellenwert eingenommen. Das ist gut, denn durch öffentliches Interesse wird der Forschergeist angespornt. So etwas kann aber auch schnell zu sehr hochfliegenden, am Ende unrealistischen Erwartungen führen. Insofern ist eine faktenbasierte Herangehensweise empfehlenswert.

Zum Status quo: Im Luftfahrtsegment der Motorsegler und kleinen Sportflugzeuge sehen wir erste erfolgreiche Anwendungen elektrischer Motoren und Batterien. Eine ganz andere Dimensionen ist die Passagierluftfahrt: So beträgt die Triebwerksleistung zum Beispiel für die A320neo beim Start 18 MW (24.500 PS); bereits für kleinere Kurzstreckenflugzeuge werden Batterien benötigt, die mindestens um den Faktor 10 leistungsstärker sein müssen, als es die derzeit beste Technologie ermöglicht. Dafür sind heute nicht einmal Ideen vorhanden. Neben der notwendigen Batterieentwicklung gibt es weitere gravierende Herausforderungen: Dazu gehören die Entwicklung extrem leichter E-Motoren mit Supraleitung, die Klärung aller Fragen rund um die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Fluggeräts und die neue Infrastruktur von Flughäfen. Hier müsste es über viele Jahre eine parallele Versorgung geben.

Ein erster Schritt hin zum elektrischen Fliegen kann ein hybrides Antriebssystem sein. Es muss den Nachweis erbringen, dass der erzielte Vorteil die deutlich erhöhte Komplexität und Gewichtszunahme rechtfertigt. Das E-Fliegen ist sicherlich ein äußerst herausfordernder Ansatz für eine neue Technologie, um die ehrgeizigen Umweltschutzziele der Luftfahrt erreichen und nachhaltig umsetzen zu können. Eine Realisierung erfordert eine sehr lange Technologieentwicklung.

Demgegenüber gibt es heute bereits Ansätze, wie den Getriebefan, die bei konsequenter Weiterentwicklung ein enormes Potenzial zur Emissionsreduzierung bieten. Hinzukommen weitere technologische Lösungen, etwa alternative Kraftstoffe mit nahezu vernachlässigbaren CO2-Eintrag, die unter allen Umständen nachhaltig verfolgt werden müssen. An allen Konzepten arbeiten wir und haben auch das E-Fliegen im Blick – die Stromerzeugung muss natürlich schadstoffarm erfolgen.

Dr. Rainer Martens ist Vorstand Technik bei MTU Aero Engines.

Impressum | Datenschutz |  Einwilligungsverwaltung