Sichere Stromversorgung in der Zukunft: Dezentrale Erzeugung als Alternative zum Leitungsausbau?

Zu dieser Frage äußern sich Dr. Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses Bürgerenergie e.V., und Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung der 50Hertz Transmission GmbH.

PRO: Dr. Thomas E. Banning

Dr. Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses Bürgerenergie e.V. © Naturstrom AG

Der Einsatz von Erneuerbaren und KWK in der Stromversorgung wird mit Blick auf Ressourcen und Klimawandel weiter steigen. Im Gegensatz zu fossilen und nuklearen Kraftwerken sind es nicht Großtechnologien, sondern sie sind an vielen Stellen einsetzbar. Selbstverständlich sind dafür Netze notwendig, vor allem Verteil- und Verbundnetze in Mittel- und ergänzend Hochspannung. Höchstspannungsnetze dagegen werden weniger benötigt als bei zentralen Kraftwerken.

Moderne Informationstechnologien, Smart Grids und Smart Metering sorgen für bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage, benötigen weniger vorgelagertes Netz und ermöglichen eine bessere Nutzung von Betriebsmitteln dort. Dezentrale Steuerung funktioniert besser als zentrale, da sie besser informiert ist über die Belange vor Ort und schneller und exakter reagieren kann. Das senkt Kosten und bringt Versorgungssicherheit, da ein Netzfehler immer nur einen kleinen Teil des Gesamtsystems betrifft. Dezentrale Versorgung gibt den Verbrauchern die Möglichkeit, selbst an der Systemoptimierung mitzuwirken durch Effizienzmaßnahmen, Verhaltensanpassung oder Engagement bei der Erzeugung (Prosumer), sie setzt auf selbststeuernde Systeme und ist schlicht demokratischer. Zentral gesteuerte Systeme führen dagegen zu einem unnötigen Einsatz knapper Ressourcen. Sowohl wegen fehlender Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage als auch um das System jederzeit stabil zu halten, wird erheblich Mehrproduktion vorgenommen, dazu kommen dann noch Netzverluste.

Zudem entwickeln sich in zentralen Versorgungssystemen Spielregeln, die wenigen Anbietern nutzen, während der Wettbewerb schrittweise ausgeschaltet wird und die Kunden das Nachsehen haben durch Abhängigkeit und unnötig hohe Preise. Netze stellen fast natürlich örtliche Monopole dar, die mit Zentralisierung Hand in Hand gehen. Insofern: ein zentral gesteuerter Netzausbau mit dem Weltbild, Europa in eine Kupferplatte zu verwandeln, ist kontraproduktiv zu den Möglichkeiten der dezentralen Versorgung, wird Netzausbau dagegen im Sinne intelligenter Lösungen als Verbundsystem verstanden, wirken Netz und Dezentralität Hand in Hand.

Dr. Thomas E. Banning ist Vorstandsvorsitzender des Bündnisses Bürgerenergie e.V.

CONTRA: Boris Schucht

Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung der 50Hertz Transmission GmbH © 50Hertz

Eines gleich vorweg: Der Ausbau dezentraler erneuerbarer Energien ist zentral für das Gelingen der Energiewende. Als Übertragungsnetzbetreiber für Nordostdeutschland – einer Region mit heute schon über 42 Prozent regenerativer Energien am Stromverbrauch – wissen wir das sehr genau. Und mehr noch: Wir stehen voll dahinter. Denn ohne den Ausbau von Windkraftanlagen an Land und auf See, ohne den weiteren Zubau an Photovoltaikanlagen sind die energiepolitischen Ziele Deutschlands und Europas nicht zu schaffen.

Gleichzeitig sehen wir, dass der Leitungsausbau der Entwicklung der erneuerbaren Energien hinterherhinkt. Die Folge sind Netzengpässe und stetig steigende Kosten, denn immer öfter muss sogenannter Redispatch mit konventionellen Kraftwerken durchgeführt und am Ende auch erneuerbare Energien heruntergeregelt werden.

Wie kann man dieses Dilemma lösen? Weniger durch Entweder-oder-Dogma als vielmehr mit einem umfassenden Ansatz. Denn ohne Frage muss eine vorausschauende und verantwortungsvolle Netzplanung an verschiedenen Szenarien – wie auch an einer dezentralen und immer stärker an "Prosumern" orientierten Entwicklung – ausgerichtet werden. Doch dezentrale Lösungen kommen ebenfalls nicht ohne Stromleitungen aus. Nahezu sämtliche Studien bestätigen: Auch die Verteilnetze müssen ausgebaut werden. Bei dezentralen Speichern in Kombination mit Photovoltaik kann dieser Netzausbau aber vermindert werden.

Bei der Windenergie liegt die Sache anders. Sie wird vor allem im Norden und Osten Deutschlands ausgebaut, wo die Ausbeute an Energie besonders hoch und günstige Flächen vorhanden sind. Gleichzeitig gibt es dort nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb muss der erneuerbare Strom aus diesen dezentralen Gegenden in die Ballungsgebiete und die Industriezentren über große Strecken in den Süden und Westen Deutschlands transportiert werden. Diesen Transport leisten wir mit unseren Stromautobahnen. Wir planen und bauen dabei jedoch nur jene Leitungen, die zum Abtransport der Erneuerbaren unbedingt notwendig sind, auch dafür stehen wir als 50Hertz.

Boris Schucht ist Vorsitzender der Geschäftsführung der 50Hertz Transmission GmbH.

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