Versorgungssicherheit in der Zukunft: Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt, der vorgehaltene Leistung vergütet?

Zu dieser Frage äußern sich Andreas Kuhlmann, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW), und Carsten Pfeiffer, Leiter Politik & Strategie beim Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE).

PRO: Andreas Kuhlmann

Andreas Kuhlmann, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) © BDEW

Für das zukünftige Miteinander von konventionellen und erneuerbaren Energien gibt es drei Grundbedingungen:

1.) Die Versorgungssicherheit darf nicht in Gefahr geraten.
2.) Die Strompreise müssen langfristig bezahlbar bleiben.
3.) Der angestrebte Ausbau der Erneuerbaren Energien muss weiter möglich bleiben.

Der von der Energiebranche vorgelegte Vorschlag des Dezentralen Leistungsmarktes (DLM) erfüllt all diese Kriterien. Nicht nur Energieunternehmen halten ihn daher für die beste Wahl. Er sorgt dafür, dass nur die Kraftwerke im Markt weiter bestehen bleiben, die wirklich gebraucht werden: und zwar im Wettbewerb mit Speichern, Demand Side Management (DSM) und allen, die gesicherte Leistung anbieten können.

Kurzum: Von allen von den Gutachtern des BMWi geprüften Kapazitätsmarktmodellen ist die Versicherungslösung des DLM die Beste. Erfreulicherweise sehen das die Gutachter des Bundeswirtschaftsministeriums sowie Verbände wie der BDI genauso. Bleibt also die Frage: Braucht man überhaupt einen Kapazitätsmarkt? Die Alternative wäre, sich auf einen reformierten Energy-Only-Markt (EOM) allein zu verlassen. Das sehen viele Akteure in Wirtschaft und Politik skeptisch. Denn das hieße, darauf zu vertrauen, dass an der Börse Knappheitspreise entstehen, ohne dass es zu Lastabwürfen kommt. Dass Investoren in der Hoffnung auf gelegentliche Spitzenpreise an der Börse in Kraftwerke investieren, ist äußerst unwahrscheinlich. Der Kraftwerkspark würde also auf Verschleiß betrieben, Versorgungssicherheit wäre auf Kante genäht. Die "Only"-EOM-Verfechter hoffen darauf, dass die Industrie in Knappheitszeiten freiwillig auf Strombezug verzichtet, Kraftwerke im Ausland zur Verfügung stehen und dass die Politik verbindlich zusichert, dauerhaft nicht einzugreifen, selbst wenn es zu Knappheiten und extremen Preisspitzen kommt. Ist das wahrscheinlich? Kann ein Industrieland wie Deutschland darauf vertrauen?

Wir schlagen eine Schrittfolge vor: 1. EOM reformieren, 2. mit einer wettbewerblichen Reserve absichern und 3. die gesetzlichen Grundlagen für den DLM schaffen, der aber erst dann aktiviert wird, wenn EOM plus Reserve nicht ausreicht. Für die ersten beiden Punkte ist ein Konsens in Sicht. Noch offen ist die Frage, ob die Politik die Kraft findet, mit dem DLM eine dauerhaft belastbare, kostengünstige Lösung zu implementieren oder ob sie bei dieser für den Wirtschaftsstandort Deutschland zentralen Frage lieber auf Risiko setzt.

Andreas Kuhlmann ist Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW).

CONTRA: Carsten Pfeiffer

Carsten Pfeiffer, Leiter Strategie & Politik beim Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) © BEE

Für eine sichere Stromversorgung sind Kapazitätsmärkte überflüssig. Mit der Weiterentwicklung der Strommärkte sowie einer Strategischen Reserve kann das Energiesystem zuverlässig, nachhaltig und kosteneffizient in die Zukunft geführt werden. Kapazitätsmärkte hingegen würden den Umbauprozess ausbremsen und stattdessen alten Kraftwerken zusätzliche Einnahmen bringen.

Bezahlen müssten die Stromkunden, sowohl über die Kapazitätsmarktumlage als auch über eine höhere EEG-Umlage zur Finanzierung der Differenzkosten. Die Diskussion um Kapazitätsmärkte ist erstaunlich. Schließlich gibt es in Deutschland wie auch in Europa große Überkapazitäten. Regionale Defizite können nicht durch Kapazitätsmärkte, sondern durch einen Netzausbau und ein modernisiertes Energiesystem behoben werden.

Die Erschließung von Flexibilitätsoptionen ist der Schlüssel für das Strommarktdesign der Zukunft, das durch eine Strategische Reserve zusätzlich abgesichert werden kann. Eine kürzlich für den BEE erstellte Studie hat zentrale Elemente zur Flexibilisierung herausgearbeitet. Dazu zählt vor allem die Dynamisierung der EEG-Umlage, der Netzentgelte sowie des Kraft-Wärme-Kopplungsbonus, aber auch die Weiterentwicklung der Regelenergiemärkte. Ebenso spielt die Flexibilisierung des Großhandels wie auch ein verstärkter Einsatz von Speichertechnologien eine wichtige Rolle. Das BMWi hat mit dem Grünbuch bereits eine Vielzahl an Optionen aufgelistet, die es nun im Weißbuchprozess weiterzuentwickeln und in ein stimmiges Gesamtkonzept zu bringen gilt.

Erneuerbare-Energien-Anlagen erbringen schon heute wichtige Systemdienstleistungen. Sie stabilisieren die Netze und sichern die Versorgung, indem sie flexibel auf die schwankende Stromeinspeisung aus wetterabhängigen Quellen reagieren. Über die Flexibilisierung können sie stärker als bisher Verantwortung im Energiesystem übernehmen. Die Unterstützung von konventionellen Kraftwerken würde hingegen nur die alten, kostspieligen Strukturen festigen.

Carsten Pfeiffer ist Leiter Politik & Strategie beim Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE).

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